1000 Sprengungen für die Sicherheit im Skigebiet

Die Patrouilleure auf dem Gemsstock sind bei jedem Wetter unterwegs - ein nicht ganz ungefährlicher Job. 1000 Sprengungen pro Saison, und fast alles wird noch von Hand gemacht.
18.01.2011
Ein rotes Licht flammt auf. Roland Tresch presst das Streichholz fest zwischen seine Finger, Patrouilleur Björn Becker hält den Sprengstoff in den Händen. Die beiden haben sich einen sicheren Platz ausgesucht. Auf einem Felsvorsprung unterhalb der Mittelstation auf dem Gemsstock sind sie vor Splitter geschützt. Mit einem Funken ist die Zündschnur entfacht. An einer Leine wirft Björn Becker die Ladung in den Abhang. Noch 90 Sekunden bis es knallt.

Sprengungen sind sein Beruf

Carlo Danioth jagt fast täglich Schneemassen in die Luft und löst damit Lawinen aus. Am Samstag, 15. Januar, erzählte der Pisten- und Rettungschef anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) von seiner Arbeit. Carlo Danioth kennt den Gemsstock ganz genau. Seit 17 Jahren ist er an diesem Berg als Rettungschef tätig. Er kennt jedes Tal, jede Kluft. Er kennt auch die Gefahren. Denn auf diesem Berg gibt es nur Lawinenhänge. «Besonders die Sonnenpiste ist sehr heikel - dort ist die Lawinensicherung viel intensiver als am Gletscher», erklärt Carlo Danioth. In keinem Skigebiet der Schweiz ist die Lawinensicherung im Verhältnis zu seiner Pistenfläche so aufwendig wie am Gemsstock. Am extrem exponierten Berg ist es nötig, dass Carlo Danioth und sein Team jeden Tag die Situation neu beurteilen. Immer wieder verfolgen sie die Wetterprognose, beurteilen Wind- und Schneeverhältnisse. Und jeden Tag gehen sie hinaus, um die Sicherheit auf den Pisten zu gewährleisten. Bei jedem Wetter sind die Patrouilleure unterwegs - ein halbes Jahr lang.

Last der Verantwortung

Die Zeit scheint unendlich. Björn Becker und Roland Tresch kauern auf dem Felsvorsprung. Der Patrouilleur aus Schweden schaut auf seine Uhr. Es dauert noch eine Weile. Bestimmt noch 40 Sekunden. Vorsichtshalber halten sich schon einige der Exkursionsteilnehmenden die Ohren zu.
Pro Saison sind im Durchschnitt zwischen 800 und 1000 Sprengungen nötig, um die Sicherheit im Skigebiet in Andermatt zu gewährleisten. Nicht immer sind diese Einsätze ungefährlich. Denn: Zu 90 Prozent sprengen die Patrouilleure von Hand. Neben der Last der Verantwortung tragen sie auf ihren Schultern bis zu 5 Kilogramm Sprengstoff und einen Airbag in all jene Gebiete, die gesichert werden müssen. Die Ladung werfen die Patrouilleure in die Abhänge oder sie befestigen sie an Stöcken. Auch Armeewaffen kommen zum Einsatz - allerdings nur noch an einer Stelle im Skigebiet Nätschen-Gütsch. «Bei Handsprengungen ist die Beurteilung des Sprengstandorts das A und O», erklärt Carlo Danioth. Zu gross wäre sonst die Gefahr, dass die Patrouil-leure selbst von einer Lawine mitgerissen werden. Das hat Carlo Danioth am eigenen Leib erfahren. Mit einer Schneewechte stürzte der Andermatter senkrecht einige Meter ab, blieb aber glücklicherweise unverletzt. «Noch am selben Tag bin ich wieder hinausgegangen, um zu sprengen», sagt der Andermatter. Er ging wieder in sein Arbeitsgebiet, wo es eben nie ganz ungefährlich ist. Etwas sicherer sind die Sprengungen von der Seilbahnkabine oder vom Helikopter aus. Die sicherste und idealste Variante aber ist die Arbeit mit Fernsprenganlagen. Fünf dieser Türme stehen auf dem Gemsstock. Per Knopfdruck wird die Sprengung ausgelöst - ohne Rücksicht auf das Wetter.

Ohren zu ...

Noch 20 Sekunden. Björn Becker starrt auf den Sekundenzeiger. «Die Ohren jetzt bitte zuhalten», weist Carlo Danioth die Gäste an und schiebt nach: «Es kommt leider zu oft vor, dass dies die Patrouilleure vergessen.» Die Teilnehmenden pressen ihre Hände an die Ohren. Sekunden der Stille. Jede und jeder hört noch den eigenen Puls. 10 Sekunden. Innerlich zählen die Gäste auf Null. Ein gewaltiger Knall. Die Druckwelle ist auf den Winterkleidern spürbar. Ein kleiner Schneerutsch löst sich vom Abhang. Einzelne Schneekugeln purzeln. Und schon ist die Übung vorbei. Was bleibt, ist eine Rauchwolke, die nach Feuerwerken an Neujahr riecht. 1,5 Kilogramm Sprengstoff sind passé.
Erst, wenn alles gesichert ist und Carlo Danioth und sein Team ihr Bestmögliches getan haben, werden die Pisten freigegeben. Was aber neben dem gesicherten Gelände geschieht, liegt nicht mehr in der Verantwortung der Andermatt Gotthard Sportbahnen. «Es wäre schlicht nicht machbar, das Gelände abseits der Pisten auch noch zu sichern», betont der Pistenchef. Variantenfahrer, oder Freerider, wie sie heute genannt werden, gab es auf dem Gemsstock schon immer. Doch so viele, wie heutzutage neben der Piste fahren, gab es vor 17 Jahren noch nicht, erinnert sich Carlo Danioth. «Es passiert recht wenig, aber wenn, dann sind es praktisch immer gröbere Unfälle.» Carlo Danioth hat schon vieles gesehen. Und meistens war er machtlos. Denn: Die Freerider wissen, wie gross das Risiko ist. «Wir können sie nur warnen», so Carlo Danioth. Freeriden boomt, selbst wenn es die Sportbahnen nicht anpreisen. Doch gerade dieser Hype hat für Carlo Danioth auch etwas Positives: «Die Hänge sind sicherer, gerade weil sie so oft befahren werden.» Und schliesslich sind Freerider gern gesehene Gäste der Andermatt Gotthard Sportbahnen. Gerade neben den gesicherten Pisten sehen viele den Gemsstock als Schneeparadies - mit all seinen Gefahren.

Martina Regli


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